Dienstag, 8. April 2008

Rudi Dutschke


Das vergangene Wochenende brachte mit sich, dass das Jahr 1968 medial intensiv behandelt wurde. Die österreichische Qualitätszeitung DER STANDARD beschäftigte sich mit den Ursächlichkeiten, Bestrebungen und Wirkungen revolutionärer Strömungen in Deutschland, Frankreich, Polen und den U.S.A. Österreich spielte nur eine marginale Rolle, welche in einem interessanten Bericht über den seinerzeitigen Rektor der Uni Wien beschrieben ward.

Der Kultursender 3 SAT widmete dem Jahr 1968 einen ganzen Tag, und als Höhepunkte sind wohl die Ausstrahlungen des Films „Rote Sonne“ von Rudolf Thome, einem Dokumentarfilm über Rudi Dutschke und – für mich besonders interessant – die Wiederholung eines legendären CLUB 2, in dem neben Rudi Dutschke sein Freund Daniel Cohn-Bendit mitwirkte, zu betrachten.

Geleitet wurde dieser CLUB 2 von Günther Nenning, der sich erstaunlich zurückhielt, und die soziologischen Ausführungen von Rudi Dutschke gerne über sich ergehen ließ. Cohn-Bendit erwies sich als enfant terrible, der gerne in einer Ecke der Ledercouch lümmelte, mit einer Geldmünze spielte (er warf sie in die Luft, trommelte mit ihr auf den Tisch, testete, wie oft sie sich nach mechanischem Antrieb um die eigene Achse drehen mochte), und seine pazifistische Einstellung mehrmals hervorhob.

Nicht nur, dass hiermit eine sentimentale Erinnerung an eine Zeit aufkam, in der im Fernsehen noch konstruktive Diskussionen stattfanden, ließ es sich Rudi Dutschke nach zweieinhalb Stunden nicht nehmen, einen Aspekt einzubringen, der durchaus als Quintessenz des Gespräches bezeichnet werden kann. Die Disputation, in welche (sonst wäre es keine Disputation gewesen) ein – wie er sich selbst bezeichnete – kleiner Professor, und ein kettenrauchender Journalist eingebunden waren, drehte sich oft im Kreis, und brachte die Themata Vietnam, Kapitalismus, Terrorismus, Gewalt, Öffentlichkeit und Tyrannenmord aufs Tapet. Freilich alles Faktoren, welche 40 Jahre später einem Großteil der Europäer bekannt sein müssten, wenn sie sich denn für diese Zeit interessieren.

Worauf ich aber abziele, ist die Quintessenz, die in einer ethischen Vorstellung gipfelte. Rudi Dutschke war nicht nur ein Studentenführer, und meinetwegen „Revolutionär“, sondern mehr noch ein Mensch, der die gesellschaftlichen Zustände sozialwissenschaftlich analysierte, und in diesem Kontext den Begriff der „Erwerbsarbeit“ kritisch definierte. Er bezog sich insbesondere auf die Arbeiter, welche mindestens 8 Stunden am Stück malochen müssten, und deren „Freizeit“ hauptsächlich dazu diente, sich von der schweren Arbeit zu erholen. Die Befreiung der Arbeiterschaft war ihm ein Anliegen, und er stellte die Frage in den Raum, ob denn das Leben tatsächlich nur aus Arbeit – und also Lohnsäckel heimbringen – bestehen könne? Reinhard P. Gruber schrieb ja einst, dass der „Arbeiter kein Arbeiter an sich sei“, und dies hängt natürlich mit der fehlenden Reflexion aufgrund der überbordenden, politisch festgelegten Bedeutung von Arbeit zusammen. Rudi Dutschke wollte, dass sich diese Arbeiter dahingehend befreien, dass sie ihrer beruflichen Tätigkeit keinen derart übertriebenen Stellenwert zubilligen. Leben besteht nicht nur aus Arbeit, womit er natürlich die Erwerbsarbeit meinte, sondern aus vielen wichtigen Aspekten, die in einem kapitalistischen System, wo der Leistungszwang immer mehr ausufert, nicht zum Tragen kämen.

Was seinerzeit von der „Intelligenz“ (wie es der kleine Professor titulierte) als Erkenntnis definiert worden war, entwickelte sich seitdem freilich ungehindert weiter, und treibt heute die seltsamsten Blüten. Der Kapitalismus wurde durch den Neoliberalismus verstärkt, und die Leistungsgesellschaften in Europa haben sich zu Hochburgen konstituiert, aus denen es kaum ein Entkommen gibt. Das Aufbegehren gegen Ungerechtigkeiten, die aus dem in den Arbeitsgesellschaften einverleibten Leistungsschemen entstehen, artikuliert sich heutzutage durch Gegner des Liberalismus, eine Bewegung wie ATTAC und in vermehrtem Maße durch Vertreter jener INTELLIGENZ, die dem kleinen Professor damals ein Dorn im Auge gewesen sein mochten. Ja, ich würde behaupten, dass es immer mehr Menschen gibt, die der kompromisslosen Arbeitsgesellschaft nicht hemmungslos zuarbeiten, sondern im Gegenteil wertvolle Aufklärungsarbeit leisten, indem sie wissenschaftlich fundierte Analysen erstellen, aus denen die Perversionen hervorgehen, welche sowohl Rudi Dutschke als auch Daniel Cohn-Bendit vor 30 Jahren im CLUB 2 anprangerten.

Es ist aus diesem Kontext gesehen unfassbar, dass ausgerechnet ein 23-jähriger Arbeiter – also ein Mitglied jener Berufssparten, die Dutschke unabdingbar „befreien“ wollte – das Attentat auf den Studentenführer beging, weil er offenbar nicht wusste, wie weit die Vorstellungen und Ziele seines Opfers gegangen waren.

Rudi Dutschke verstarb nur wenige Monate nach der Ausstrahlung dieses CLUB 2 an den Folgen eines epileptischen Anfalls, den er in seiner Badewanne erlitten hatte. Er ertrank hilflos.

Die Visionen von Rudi Dutschke haben sich nicht erfüllt, aber es kann ganz klar davon ausgegangen werden, dass er viele Menschen beeinflusst hat, und auch vierzig Jahre nach 1968 die Menschen, welche sich dazu berufen fühlen, nicht müde werden dürfen, Systemen die Stirn zu bieten, die Ungerechtigkeiten und Ungleichbehandlungen am Fließband produzieren.

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