Freitag, 15. August 2008

Olympia-Tagebuch, Teil 3: Blech

Die Erwartungen von Markus Rogan an sich selbst konnte er nicht erfüllen, wenngleich er zugab, dass mehr als die erbrachte Leistung nicht möglich gewesen sei. Mirna Jukic hingegen war nicht unglücklich über ihren vierten Platz, weil sie ohnehin schon Bronze über die 100 Meter Brust gewonnen hätte. Und der gebürtigen Deutschen, Frau Oblinger-Peters, gelang eine kleine Sensation mit dem Gewinn der Bronzemedaille im Frauen-Einer der Kanuten. Also alles in Ordnung, oder?

Bei den olympischen Spielen stehen die Sieger im Mittelpunkt. Ein Ringer fühlte sich betrogen, und trat von der Siegerehrung ab, nachdem er seine Medaille abgelegt hatte. Ein US-Amerikaner zeigte sich über seine Silbermedaille im Kugelstoßen enttäuscht. Nicht allein Blech sorgt also für Furore, auch so mancher Nicht-Gewinner möchte am liebsten vor Enttäuschung im Boden versinken.

Das Leben der Menschen wird weitgehend von Konkurrenz bestimmt. Der sportliche Wettstreit ist nur scheinbar harmlos. Jeder, der als Sportler – in welcher Disziplin auch immer – Erfolg haben will, muss dafür sehr viel Zeit und Geduld investieren. Von nichts kommt nichts. Doch am Ende gewinnt nicht immer der Sportler mit den besten Fähigkeiten in seiner Disziplin. Für manchen Sportler ist es schon ein enormer Erfolg, an den olympischen Spielen teilnehmen zu können. Viele Sportler möchten für ihre Investitionen in den Sport mit einer Medaille belohnt werden. Einige wenige Sportler geben sich nur mit Gold zufrieden, alles andere ist Mumpitz.

Blech ist nicht nur der vierte Platz bei sportlichen Wettkämpfen, wo nur die ersten Drei mit Medaillen gekrönt werden. Blech ist jene „Auszeichnung“, die den ersten Verlierer trifft. Das muss nicht der Vierte, das kann auch der Elfte oder Hundertvierte sein. Im Blickpunkt der Medien sind die Siegertypen und die Medaillengewinner. Der Letzte in irgendeinem Schwimmbewerb wird höchstens milde belächelt. Blech ist ein Synonym für den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage. Der Einzelne kann oft nicht begreifen, warum er nicht im Licht steht. Alles hat sich gegen ihn verschworen, während andere, in ihren Disziplinen scheinbar nur mäßig begabte Personen, mit Geld, Ansehen und Wohlwollen bedacht werden.
Es geht nicht nur um Vitamin B, es geht um Glück, es geht um Kleinigkeiten. Zwischen einer Medaille und einem vierten Platz kann oft nur der Wimpernschlag einer Libelle liegen, wie es Sigi Bergmann einst so treffend formuliert hat.

Das olympische Team Österreichs ist bislang mit drei Mal Blech bedacht worden. Abgesehen davon, dass Frau Soeder wie die Medaillengewinnerin, Frau Oblinger-Peters, ursprünglich aus Deutschland kommt, und Mirna Jukic ebenfalls nicht in Österreich geboren wurde, also die Multi-Kulti-Nation Österreich gleich zwei der drei Medaillen erobern konnte, ist die Auszeichnung „Blech“ die Gunst des ersten Verlierers. Und wenn – ausnahmsweise – mal Verlierer im Rampenlicht stehen, so kann es nur um ein sportliches Großereignis gehen.
Im „normalen“ Leben nämlich bewegen sich die Verlierer in ihren eigenen Bahnen, und werden von den „Gewinnern“ meist nicht beachtet. Aber was heißt „gewinnen“ oder „verlieren“ im „normalen“ Leben? Ist es nicht immer der einzelne Mensch, der sich zum „Gewinner“ oder „Verlierer“ hochstilisiert? Und ist es nicht Unsinn, das Leben immer als Konkurrenzkampf zu sehen? Ja, es ist Unsinn, aber die meisten Menschen, die auf diesem Planeten Erde leben, sind „Verlierer“, weil sie unter schwierigsten äußeren Bedingungen ihr Leben fristen müssen. Sie sind „Verlierer“, und können sich nicht mal an einem Kampf beteiligen. Von vornherein sind sie kampflos besiegt.

An jene Menschen zu denken, die stets mit „Blech“ bedacht werden, mag eine Herausforderung sein. Es ist sicher die einfachere Methode, die Identifizierung mit erfolgreichen Menschen, Teams oder Ländern zu wählen. Aber ist es nicht ZU EINFACH?
„Die im Schatten sieht man nicht“ – und Blech scheppert so leicht. Jeder einzelne Mensch ist dazu aufgefordert, dieses Scheppern nicht nur wahr zu nehmen, sondern darauf zu reagieren.
Mit Solidarität.

Die olympischen Spiele sind eine Show der Nationen mit tragischen oder gefeierten Helden und Menschen, die an ihren eigenen Anforderungen scheitern. Das Leben aber beginnt für jeden Menschen jeden Tag neu bis zum Ende seiner Tage. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Auch mit Blech lässt sich gut leben. Es kommt ganz auf die innere Einstellung an.

1 Kommentar:

W hat gesagt…

Sehr philosophische Herangehensweise Jürgen