Dienstag, 12. August 2008

Selbsternannter Kafka-Forscher

Allerlei Kurioses passiert auf dieser Welt. Manches kann auch die Lachmuskeln aktivieren, und so mag es Menschen gehen, die das Werk von Franz Kafka schätzen, und sich mit einem „neuen Aspekt“ des Autors konfrontiert sehen.

Ein Mann namens James Hawes will anlässlich von Recherchearbeiten in zwei Bibliotheken auf die „Porno-Sammlung“ von Franz Kafka gestossen sein. Ja, was für eine Neuigkeit! Die Kafka-Forschung muss diesbezüglich buchstäblich Jubelsprünge machen.
Aber ganz im Ernst: Die Behauptung des „Forschers“, die „Kafka-Industrie“ wolle nichts über ihr Idol kommen lassen, und somit sei es gar nicht vorstellbar, dass Kafka Pornographie besessen habe, spottet jeder Beschreibung. Zum Einen kenne ich keine Kafka-Industrie, sondern höchstens eine Kafka-Kommerzialisierung, was Hawes damit aber sicher nicht meint.
Es gibt sehr viel Sekundärliteratur über Franz Kafka, und dass er keineswegs ein weltfremder Fantast war, der sich von seinem Übervater in einen üblen Käfer verwandeln ließ, sollte keine Neuigkeit sein. Franz Kafka war kein Übermensch, er war kein Heiliger (auch Max Brod bezeichnete ihn nur in einem speziellen Kontext als „Heiliger“!), und noch weniger ein Misanthrop. Franz Kafka war ein ausgezeichneter Autor, der dem Schreiben gerne alles untergeordnet hätte (was leider nicht möglich war), er war Jude, und er wollte alles, was er tat, möglichst perfekt gestalten.

Zum Anderen ist die sogenannte „Porno-Sammlung“ in einen literarischen Kontext eingebettet. Auch wenn obszöne Abbildungen vorhanden sein mögen, handelt es sich um eine künstlerische Auseinandersetzung mit Sexualität. Denn es sind keine Fotos zu sehen, sondern Zeichnungen! James Hawes will mit dieser „Offenlegung“ sicher auch Werbung für sein Buch machen, dass Franz Kafka „in einem anderen Licht“ zeigen soll. Er glaubt, Kafka neu zu interpretieren, und vergisst, dass jeder Versuch, Kafka zu INTERPRETIEREN scheitern muss.

Ganz anders bei der bemerkenswerten Arbeit von Reiner Stach, dem fantastischen Fotoband von Hartmut Binder, und der ausgezeichneten Jugendbiographie, die Klaus Wagenbach geschrieben hat.

Interpretation ist immer Reduktion einer Persönlichkeit, also am Herzen liegen dürfte Franz Kafka dem selbsternannten „Forscher“ nicht…

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