Sonntag, 9. November 2008

Novemberpogrom 1938

Als ich im Jahr 2006 das Gelände des ehemaligen KZ Auschwitz und Birkenau betrat, erwies sich dies als besonders schwerwiegende Erfahrung. Die Vorstellung, dass an diesen Orten über eine Million Jüdinnen und Juden auf bestialische Weise umgebracht worden sind, verursacht ein nicht beschreibbares Gefühl im Herzen. Ich hätte mir nach den ersten Minuten nicht gedacht, dass ich überhaupt in der Lage bin, mehrere Stunden in Auschwitz und Birkenau zu verharren.

Die Erinnerung an das Schicksal von hunderttausenden Menschen, die von den Nazis ihres Lebens beraubt worden sind, steht anlässlich dieses traurigen Jubiläums an der Tagesordnung zahlreicher Veranstaltungen. Es begann mit der Zerstörung von Synagogen und Geschäften, die von Menschen mit jüdischen Wurzeln geführt wurden, und setzte sich im Laufe von Tagen, Wochen, Monaten und Jahren bis zur unfassbar als „Endlösung“ deklarierten Vernichtungsmaschinerie fort.

Mir schnürte es Herz und Seele zusammen, als ich vor Ort in Auschwitz und Birkenau das Gelände der ehemaligen Konzentrationslager durchschritt. Viele Baracken stehen noch, auch einige Wachtürme. Ort und Lage der Gaskammern sind ersichtlich. Die Verbrennungsöfen können besichtigt werden. Der in den KZs auswuchernde Wahnsinn ist überall auf dem Gelände zu erahnen. Doch trotz alledem ist es nicht nachvollziehbar, was sich hier alles abgespielt haben mag.

Wer je in Auschwitz und/oder Birkenau gewesen ist, und auf dem Gelände der ehemaligen Konzentrationslager unterwegs war, wird diese Erfahrung nie vergessen. Nie sollte vergessen werden, was Menschen mit jüdischen Wurzeln angetan wurde! Den Menschen zu gedenken, die unter der brutalen Naziherrschaft auf bestialische Weise zu leiden hatten, sollte nicht nur auf den heutigen Tag und die Abendstunden beschränkt sein. Das Novemberpogrom war der Anfang einer Kette von menschlichen Abgründen, von denen die jüdische Bevölkerung betroffen war. Die Erinnerung an unzählige schreckliche Verbrechen, welche im Namen einer befremdlichen Ideologie begangen wurden, kann nie aus den Köpfen der Nachkommen getilgt sein. Und wir Nachkommen sind aufgerufen, darauf zu achten, dass nie wieder etwas Derartiges passieren darf. Wir müssen wachsam sein!

Heutzutage ist der Fremdenhass an die Stelle des offiziell nicht mehr propagierten Antisemitismus getreten. Asylanten werden wie Aussätzige behandelt. Viele Menschen haben unter Umständen zu leiden, die von einem Rechtsstaat nicht geschaffen werden dürften. Die Angst vor den „Ausländern“ ist nicht nur unbegründet, sondern gleichermaßen absurd. Wer die Kultur des neuen Heimatstaates ignoriert oder sogar ablehnt, hat in diesem neuen Kultur- und Zivilisationskreis nichts verloren. Doch es ist beschämend, diese Argumente auf ALLE Menschen abzuwälzen, die sich für Österreich als neue Heimat oder Asylland entschieden haben. Es darf nicht sein, dass Menschen kategorisch zu „Staatsfeinden“ oder Schmarotzern erklärt werden.

Das Novemberpogrom 1938 dürfen wir Nachkommen wie auch die unfassbaren Folgen nie vergessen. Fremdenhass und Diffamierung von gesellschaftlichen Randgruppen dürfen nicht als selbstverständliche politische Äußerungen einfach im Raum stehen bleiben. Wir sind dazu aufgerufen, dagegen Zeichen zu setzen. Die innere Einstellung ist und bleibt das kostbarste Gut, über das wir verfügen. Es gilt, uns auch mit den Aspekten in uns auseinander zu setzen, die möglicherweise fragwürdig sind. Der Mensch muss sich auch in Frage stellen können. Nur dann ist die Ausgangsbasis einer von innen kommenden Veränderung geschaffen.

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