Freitag, 29. August 2008

Das nahende Ende der Nuller-Jahre

Wer in Wien in der Innenstadt unterwegs ist, kann in vielen Geschäften bereits Kalender des Jahres 2009 erwerben. 2009 wird das letzte Jahr der sogenannten Nuller-Jahre sein. Ein bekannter Radiosender kündigt sein Programm – noch – mit den absurden Worten an:
„Die besten Hits der 80´er, 90´er und von heute.“ Für die Nuller-Jahre hat der Sender also keinen Begriff bzw. will nicht auf das Naheliegende zugreifen. Tatsächlich sind die Nuller-Jahre insbesondere aus österreichischer Sicht sehr mager verlaufen.

Natürlich ist Österreich nach wie vor eines der reichsten Länder der Welt. Doch das Zustandekommen einer rechtskonservativen Regierung mit extremen rechten Ausläufern betrieb sechs Jahre lang eine menschenverachtende Politik, die nur Unternehmern und „erfolgreichen“ Eigendarstellern etwas für das Säckel gebracht hat. Die Schere zwischen Arm und Reich ging weiter auf, prekäre Jobs wuchsen wie die Schwammerln, Unternehmensgewinne detto und von einer Lohnerhöhung bekamen nur Mitarbeiter der Industrie und staatsnaher Betriebe etwas mit. Eine Politik zum Vergessen, deren „Wirkungen“ bis heute und darüber hinaus spürbar sind.

Durch einen „Gewinn“ der Wahl mit hauchdünnem Vorsprung war es einem gewissen Herrn Gusenbauer möglich, sich zum Kanzler zu küren. Das wollte die Gegenseite nicht auf sich sitzen lassen, und blockierte jede mögliche Innovation in welche Richtung auch immer. Nach sechs Jahren unerträglicher „Regierungsarbeit“ folgten zwei Jahre des nahezu völligen Stillstands. Die Nuller-Jahre mögen den meisten Österreicherinnen und Österreichern in diesem Kontext sauer aufstoßen. Auch vom Jahr 2009 kann nicht wirklich viel erwartet werden. Somit werden die Nuller-Jahre in realpolitischer Hinsicht als salto nullo in Erinnerung bleiben. Die Behauptungen diverser Minister und Regierungsmitglieder, es habe einen „Fortschritt“ gegeben sind ebenso absurd wie die ständig auftauchenden Statistiken über die Arbeitslosenzahlen.

Sind diese Nuller-Jahre verflucht? Ich persönlich kann auch nicht behaupten, besonders verwöhnt worden zu sein. Klarerweise sollte die Lebenssituation nicht mit dem Leben verwechselt werden. Dennoch ist es wenig erbaulich, Erfahrungen zu machen, die das frühere Weltbild stark relativieren. War früher alles besser, also in den berühmten 70´er, 80´er und 90´er Jahren? Würde ich nicht unterschreiben, aber das jetzt „etablierte“ Gesellschaftsklima scheint nur mehr von der Sorge um oder den Verlust des Arbeitsplatzes bestimmt zu sein. Die Arbeitsgesellschaft hat in den Nuller-Jahren enorm an Zugkraft gewonnen. Das Erwerbsarbeit mit Leistung nicht in direktem Verhältnis steht sollte den meisten Menschen bewusst sein. Warum also nicht die Idee verwirklichen und ein Grundeinkommen einführen? Oder der ehrenamtlichen Arbeit endlich jene Bedeutung zuerkennen, die sie verdient?

Was wird der Radiosender ab dem Jahr 2010 verkünden? „Die besten Hits der 80´er, 90´er, der letzten 10 Jahre und von heute!“ (?) Die „Vordenker“ werden sich etwas überlegen müssen. Und der Stehsatz „XX bei der Arbeit“, der suggeriert, es wäre hauptsächlich die erwerbstätige Bevölkerung, die den „Hits“ zuhören mag, ist auch schon Schnee von gestern. Welche Arbeitnehmer - außer einer kleinen Minderheit - hat Zeit und Muse, jeden Tag dem Kaffeeklatsch dieses Radiosenders zuzuhören?

Also, es ist keineswegs „traurig“, dass die Nuller-Jahre, von denen kaum mal wer öffentlich gesprochen hat, bald dem Ende zugehen. Vielleicht geht es danach aufwärts. Nicht nur für Österreich, sondern weltweit. Denn was die meisten Menschen der Entwicklungs- und Schwellenländer in diesen Nuller-Jahren mitmachen mussten und müssen, darüber könnten ein paar Tausend Romane geschrieben werden, die Unfassbares darstellen…

Sonntag, 24. August 2008

Olympia-Tagebuch, Teil 4: Resümee

Sehr viel ist im Vorfeld über die olympischen Spiele in Peking berichtet worden, und jetzt, wo die Veranstaltung zu Ende gegangen ist, ist es nicht allzu schwer, ein Resümee zu ziehen.

In sportlicher Hinsicht gab es eine Menge Rekorde. Allen voran Usain Bolt, der über die 100 Meter und die 200 Meter laufend Fabel-Weltrekorde aufstellte. Die 100 Meter-Zeit war weniger verwunderlich als die Verbesserung des Weltrekordes von Michael Johnson über die 200 Meter, welche der US-Amerikaner direkt im „Vogelnest“ mitbekam. Usain Bolt ist ein Läufertyp, der – scheinbar – eine unübliche Athletik aufweist, und wohl gerade deswegen als läuferisches Phänomen gelten mag.

Michael Phelps, der schwimmende Hüne, gewann acht Mal Gold, und übertraf also die Medaillenanzahl von Mark Spitz. Im Schwimmen sind aufgrund der Vielzahl der Wettbewerbe mehr Medaillen möglich als in anderen Sportarten. Dennoch ist die Leistung von Michael Phelps auch als überragend zu bezeichnen. Ein Vergleich mit Mark Spitz ist jedoch nicht wirklich angebracht, da sich die Zeiten geändert haben, und so manche Schwimmdisziplin zu Spitz Zeiten noch gar nicht ausgetragen wurde… Nun gut, Phelps kann sich über eine Million Dollar Gage freuen, wobei er seinen Staffelkameraden einen Teil von diesem Geld abgeben mag…

Es war wieder mal ein besonderer Genuss, die Kommentare von Siggi Bergmann zu den Box-Wettkämpfen zu hören. Nicht nur im Boxring, auch bei anderen Kampfsportarten und einigen anderen Bewerben, wo Kampfrichter Bewertungen abgeben, wurden zu einem beträchtlichen Teil fragwürdige Entscheidungen gefällt.

Ein Niederösterreicher gilt nun als stärkster Mann der Welt, und er hat dieses Attribut als „Deutscher“ errungen. Spielt aber keine Rolle, denn entscheidend ist, dass der Mann wohl mehr als viele andere Athleten mit voller Kraft und letztem Einsatz bereit war, diese Medaille zu holen, die er seiner Frau versprochen hatte… Er präsentierte die Medaille gemeinsam mit einem Foto seiner an den Folgen eines Autounfalls verstorbenen Frau.

Aus österreichischer Sicht haben sicher einige Sportlerinnen und Sportler enttäuscht. Drei Medaillen sind nicht unbedingt eine enorme Ausbeute, und dann nicht mal eine einzige aus Gold. Doch spielt das irgendeine Rolle im Weltgeschehen? Ich habe mit ungezügelter Freude die Wettbewerbe verfolgt – egal, ob Österreich eine Rolle spielte oder nicht. Wobei der vierte Platz im Teambewerb der Männer im Tischtennis wohl als herausragendste Leistung bezeichnet werden kann. Es war nur der schlechten Auslosung zu „verdanken“, dass es zu keiner Medaille reichen konnte. Dennoch fantastisch, insbesondere Robert Gardos zuzusehen, der den Ex-Weltmeister besiegte.

Abseits vom Sport wurde viel Theater veranstaltet. Die Menschenrechts-Situation in China kam nie in den Fokus der Berichterstattung, und einige Tibet-Aktivisten verschwanden schnell von der Bildfläche. Jedoch ist diesbezüglich China nicht der einzige Staat, der sich allerlei Menschenrechts-Verletzungen schuldig macht. Zweifellos ist China in punkto Todesstrafe „Vorreiter“, und Kinderarbeit ist weit verbreitet. Doch gilt es, die grundlegenden in vielen Ländern auf der Welt vorherrschenden „Gesellschafts-Regeln“ zu hinterfragen. Die Globalisierung fordert viel mehr Opfer als „Gewinner“. Und der Neoliberalismus ist insgeheim längst als gescheitert zu betrachten, außer seine Aufgabe besteht ausschließlich und zielgerichtet darin, die Schere zwischen Arm und Reich ständig größer zu machen.

In Peking stand – und das zu Recht – der Sport im Mittelpunkt. Und zwei Aspekte sind zu beachten: Um dieses Event überhaupt zu ermöglichen, war enorm viel Vorarbeit notwendig, die auch Menschenleben kostete (zu Tode gekommene Arbeiter am „Vogelnest“), und unglaublich viel Geld verschlang. Zudem war eine große Menge ehrenamtlicher Helfer bereit, diese olympischen Spiele mit unermüdlichem Einsatz zu unterstützen. Ehrenamtliche Helfer, die kaum Geld sahen, während so mancher Sportler mächtig abkassierte. Auch hier zeigt sich also buchstäblich die „Kehrseite der Medaille“.

Donnerstag, 21. August 2008

1968




© Milena Findeis (mit freundlicher Genehmigung)


© Milena Findeis (mit freundlicher Genehmigung)

Heute vor 40 Jahren, also am 21. August 1968, wurde die tschechoslowakische Reformbewegung von Panzern des Warschauer Paktes niedergewalzt. Die Bilder davon sind bekannt, und ich will hier keinen historischen Rückblick schreiben.

Für mich ging Anfang Juni ein Traum in Erfüllung. Ich traf beim 18. Prager Autorenfestival auf meinen Lieblings-Autor Paul Auster. Als Journalist akkreditiert wäre es mir leicht möglich gewesen, ein Gespräch mit ihm zu beginnen, doch ich entschied mich dagegen. Wenn ich schon einmal die Möglichkeit habe, an insgesamt drei Tagen auf meinen Lieblings-Autor zu treffen, dann will ich mich nicht als Journalist mit ihm unterhalten. Einige Redakteure liefen auf und ab, scherzten mit den Autorinnen und Autorinnen, als ob es für sie eine Selbstverständlichkeit wäre, im gleichen Fahrtwasser zu fischen. Ich sehe das nicht so. Ein Journalist ist dazu da, zu recherchieren, zu beobachten und zu beschreiben, was er sieht und erkennt. Die von Siri Hustvedt an einen selbstverliebten Journalisten überreichten Blumen sind so etwas wie ein Symbol für die Fragwürdigkeit der „Balance“ zwischen Autoren und Journalisten. Möglicherweise gab es ja Interviews oder lockere Zusammentreffen zwischen den beiden. Aber dann gleich die Weitergabe eines Geschenkes an einen Journalisten?

Ich beobachtete das Szenario, und Paul Auster war genau so, wie ich ihn mir vorstellte. Zurückhaltend, ruhig, kein Wort zuviel, ein ausgezeichneter Rezitator, Pazifist und nahm sich selbst nicht allzu wichtig. Eine gute Stunde saß ich in unmittelbarer Nähe zu ihm und seiner Frau Siri. Ich war hingerissen, und als er dann auch noch einen Eintrag in ein rotes Notizbuch schrieb…

Das Prager Autorenfestival hatte ein Hauptthema, und das war dem Jahr 1968 geschuldet. Es gab Themenabende, Diskussionen und Lesungen. 1968 aus tschechoslowakischer Sicht ist allgemein bekannt, aber dieses Jahr aus russischer und amerikanischer sowie mexikanischer Sicht ist eine andere Baustelle. Für Paul Auster war 1968 ein Jahr, in dem er mit dem Schreiben ein wenig ernst machen wollte. Er war noch sehr jung, und Vietnam stand im Mittelpunkt seines Interesses. Als Pazifist – ebenso wie Michael McClure – sprach er insbesondere von seinen diesbezüglichen Eindrücken. 1968 änderte vieles, und die unfassbaren Ereignisse in Prag ließen niemanden kalt. Die Diskussionen waren teilweise sehr heftig, weil keineswegs alle Autorinnen und Autoren einer Meinung sein wollten. Somit ergab sich die Kuriosität von Zurechtweisungen, eindimensionalen Ansichten und Disputationen.
Souverän wirkten neben Paul und Michael Margaret Atwood und die russische Autorin Elena Schwarz. Die imposanteste Lesung lieferte Günter Kunert ab, der das Publikum zu Lachstürmen reizte.

Nunmehr steht das Jahr 1968 kurzfristig medial im Mittelpunkt. Das Prager Autorenfestival ist über die Allgemeinplätze hinausgegangen, und hat diese Zeit mehrdimensional beleuchtet. Ein Festival, das ich nie vergessen werde. Auf http://www.pwf.cz/en/home-page/ sind einige Videos der Veranstaltung zu sehen.

Dienstag, 19. August 2008

Straßenbahn-Fahrt im Bild




Schon seit längerer Zeit sind auf einem österreichischen Spartensender Straßenbahn-Fahrten zu sehen. Immer wieder im Bild ist die Route der Linie 71, mit der ich fast täglich unterwegs bin. Es ist eine ungewöhnliche Idee, die hier verwirklicht worden ist. Die Frage ist nur, wie viele Menschen sich eine Stunde lang dieser Meditation hingeben?

Auffällig ist, dass der Aufenthalt in den Stationen so kurz wie möglich gehalten ist, und gleich nach Erreichen der Endstelle die Weiterfahrt in die andere Richtung erfolgt. So etwas ist in der Realität nicht gegeben. Überhaupt lassen die Straßenbahn-Intervalle – insbesondere der Linie 71 – zu wünschen übrig. Für den Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel sind die Aufzeichnungen von Straßenbahn-Fahrten eine willkommene Möglichkeit, eine andere Sichtweise auf die Normalität zu bekommen. Besonders interessant mögen diese Eindrücke jedoch für Touristen sein, insofern sie den Spartensender in ihren Hotels und Pensionen empfangen können.

Immerhin sind im Rahmen der Straßenbahn-Fahrt der Linie 71 einige Attraktionen dieser Strecke im Bild. Insbesondere sind die einzelnen Tore des Zentralfriedhofes kürzer oder länger zu sehen. Durch die spezifische Sichtweise des Fahrers gerät hierbei insbesondere der neujüdische Friedhof – viertes Tor – in den Mittelpunkt.

Vor einigen Wochen ereignete sich in unmittelbarer Nähe des dritten Tores des Zentralfriedhofes ein tragischer Verkehrsunfall, bei dem ein Mann ums Leben kam. Nunmehr sind an oder in der Nähe der Unfallstelle Kerzen und Blumen situiert. Es mag viele Menschen geben, die den Wiener Zentralfriedhof nur zu besonderen Anlässen besuchen. Ich für meinen Teil kann – so makaber dies auch klingen mag – von diesem zweitgrößten Friedhof Europas nicht genug bekommen. Die unmittelbare Nähe erlaubt es mir immer wieder, kurzfristig den Friedhof zu durchschlendern. Die ins laufende Bild gesetzte Straßenbahn-Fahrt der Linie 71 gefällt mir deswegen so gut, weil der Zentralfriedhof weithin sichtbar ist.

Freitag, 15. August 2008

Olympia-Tagebuch, Teil 3: Blech

Die Erwartungen von Markus Rogan an sich selbst konnte er nicht erfüllen, wenngleich er zugab, dass mehr als die erbrachte Leistung nicht möglich gewesen sei. Mirna Jukic hingegen war nicht unglücklich über ihren vierten Platz, weil sie ohnehin schon Bronze über die 100 Meter Brust gewonnen hätte. Und der gebürtigen Deutschen, Frau Oblinger-Peters, gelang eine kleine Sensation mit dem Gewinn der Bronzemedaille im Frauen-Einer der Kanuten. Also alles in Ordnung, oder?

Bei den olympischen Spielen stehen die Sieger im Mittelpunkt. Ein Ringer fühlte sich betrogen, und trat von der Siegerehrung ab, nachdem er seine Medaille abgelegt hatte. Ein US-Amerikaner zeigte sich über seine Silbermedaille im Kugelstoßen enttäuscht. Nicht allein Blech sorgt also für Furore, auch so mancher Nicht-Gewinner möchte am liebsten vor Enttäuschung im Boden versinken.

Das Leben der Menschen wird weitgehend von Konkurrenz bestimmt. Der sportliche Wettstreit ist nur scheinbar harmlos. Jeder, der als Sportler – in welcher Disziplin auch immer – Erfolg haben will, muss dafür sehr viel Zeit und Geduld investieren. Von nichts kommt nichts. Doch am Ende gewinnt nicht immer der Sportler mit den besten Fähigkeiten in seiner Disziplin. Für manchen Sportler ist es schon ein enormer Erfolg, an den olympischen Spielen teilnehmen zu können. Viele Sportler möchten für ihre Investitionen in den Sport mit einer Medaille belohnt werden. Einige wenige Sportler geben sich nur mit Gold zufrieden, alles andere ist Mumpitz.

Blech ist nicht nur der vierte Platz bei sportlichen Wettkämpfen, wo nur die ersten Drei mit Medaillen gekrönt werden. Blech ist jene „Auszeichnung“, die den ersten Verlierer trifft. Das muss nicht der Vierte, das kann auch der Elfte oder Hundertvierte sein. Im Blickpunkt der Medien sind die Siegertypen und die Medaillengewinner. Der Letzte in irgendeinem Schwimmbewerb wird höchstens milde belächelt. Blech ist ein Synonym für den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage. Der Einzelne kann oft nicht begreifen, warum er nicht im Licht steht. Alles hat sich gegen ihn verschworen, während andere, in ihren Disziplinen scheinbar nur mäßig begabte Personen, mit Geld, Ansehen und Wohlwollen bedacht werden.
Es geht nicht nur um Vitamin B, es geht um Glück, es geht um Kleinigkeiten. Zwischen einer Medaille und einem vierten Platz kann oft nur der Wimpernschlag einer Libelle liegen, wie es Sigi Bergmann einst so treffend formuliert hat.

Das olympische Team Österreichs ist bislang mit drei Mal Blech bedacht worden. Abgesehen davon, dass Frau Soeder wie die Medaillengewinnerin, Frau Oblinger-Peters, ursprünglich aus Deutschland kommt, und Mirna Jukic ebenfalls nicht in Österreich geboren wurde, also die Multi-Kulti-Nation Österreich gleich zwei der drei Medaillen erobern konnte, ist die Auszeichnung „Blech“ die Gunst des ersten Verlierers. Und wenn – ausnahmsweise – mal Verlierer im Rampenlicht stehen, so kann es nur um ein sportliches Großereignis gehen.
Im „normalen“ Leben nämlich bewegen sich die Verlierer in ihren eigenen Bahnen, und werden von den „Gewinnern“ meist nicht beachtet. Aber was heißt „gewinnen“ oder „verlieren“ im „normalen“ Leben? Ist es nicht immer der einzelne Mensch, der sich zum „Gewinner“ oder „Verlierer“ hochstilisiert? Und ist es nicht Unsinn, das Leben immer als Konkurrenzkampf zu sehen? Ja, es ist Unsinn, aber die meisten Menschen, die auf diesem Planeten Erde leben, sind „Verlierer“, weil sie unter schwierigsten äußeren Bedingungen ihr Leben fristen müssen. Sie sind „Verlierer“, und können sich nicht mal an einem Kampf beteiligen. Von vornherein sind sie kampflos besiegt.

An jene Menschen zu denken, die stets mit „Blech“ bedacht werden, mag eine Herausforderung sein. Es ist sicher die einfachere Methode, die Identifizierung mit erfolgreichen Menschen, Teams oder Ländern zu wählen. Aber ist es nicht ZU EINFACH?
„Die im Schatten sieht man nicht“ – und Blech scheppert so leicht. Jeder einzelne Mensch ist dazu aufgefordert, dieses Scheppern nicht nur wahr zu nehmen, sondern darauf zu reagieren.
Mit Solidarität.

Die olympischen Spiele sind eine Show der Nationen mit tragischen oder gefeierten Helden und Menschen, die an ihren eigenen Anforderungen scheitern. Das Leben aber beginnt für jeden Menschen jeden Tag neu bis zum Ende seiner Tage. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Auch mit Blech lässt sich gut leben. Es kommt ganz auf die innere Einstellung an.

Dienstag, 12. August 2008

Selbsternannter Kafka-Forscher

Allerlei Kurioses passiert auf dieser Welt. Manches kann auch die Lachmuskeln aktivieren, und so mag es Menschen gehen, die das Werk von Franz Kafka schätzen, und sich mit einem „neuen Aspekt“ des Autors konfrontiert sehen.

Ein Mann namens James Hawes will anlässlich von Recherchearbeiten in zwei Bibliotheken auf die „Porno-Sammlung“ von Franz Kafka gestossen sein. Ja, was für eine Neuigkeit! Die Kafka-Forschung muss diesbezüglich buchstäblich Jubelsprünge machen.
Aber ganz im Ernst: Die Behauptung des „Forschers“, die „Kafka-Industrie“ wolle nichts über ihr Idol kommen lassen, und somit sei es gar nicht vorstellbar, dass Kafka Pornographie besessen habe, spottet jeder Beschreibung. Zum Einen kenne ich keine Kafka-Industrie, sondern höchstens eine Kafka-Kommerzialisierung, was Hawes damit aber sicher nicht meint.
Es gibt sehr viel Sekundärliteratur über Franz Kafka, und dass er keineswegs ein weltfremder Fantast war, der sich von seinem Übervater in einen üblen Käfer verwandeln ließ, sollte keine Neuigkeit sein. Franz Kafka war kein Übermensch, er war kein Heiliger (auch Max Brod bezeichnete ihn nur in einem speziellen Kontext als „Heiliger“!), und noch weniger ein Misanthrop. Franz Kafka war ein ausgezeichneter Autor, der dem Schreiben gerne alles untergeordnet hätte (was leider nicht möglich war), er war Jude, und er wollte alles, was er tat, möglichst perfekt gestalten.

Zum Anderen ist die sogenannte „Porno-Sammlung“ in einen literarischen Kontext eingebettet. Auch wenn obszöne Abbildungen vorhanden sein mögen, handelt es sich um eine künstlerische Auseinandersetzung mit Sexualität. Denn es sind keine Fotos zu sehen, sondern Zeichnungen! James Hawes will mit dieser „Offenlegung“ sicher auch Werbung für sein Buch machen, dass Franz Kafka „in einem anderen Licht“ zeigen soll. Er glaubt, Kafka neu zu interpretieren, und vergisst, dass jeder Versuch, Kafka zu INTERPRETIEREN scheitern muss.

Ganz anders bei der bemerkenswerten Arbeit von Reiner Stach, dem fantastischen Fotoband von Hartmut Binder, und der ausgezeichneten Jugendbiographie, die Klaus Wagenbach geschrieben hat.

Interpretation ist immer Reduktion einer Persönlichkeit, also am Herzen liegen dürfte Franz Kafka dem selbsternannten „Forscher“ nicht…

Samstag, 9. August 2008

Olympia-Tagebuch, Teil 2: Tränen und Patriotismus

Gleich am ersten Tag der olympischen Spiele brachte der Judoka Paischer das österreichische Team in die Nationenwertung. Er eroberte Silber nach einer Niederlage durch Ippon gegen den kleinen Koreaner Choi Minho.

Schon 2004 in Athen hatte Paischer gegen Choi Minho zu kämpfen gehabt. Im allerersten Kampf unterlag der Österreicher dem Koreaner nach nur wenigen Sekunden. Vier Jahre später schien der Kampf ausgeglichen zu sein, bis Choi Minho mit einem Geniestreich der fünfte Ippon an diesem Tag gelang, wodurch der Olympiasieg besiegelt ward.

Mit dem Koreaner brachen die Gefühle durch, als er seines Olympiasieges gewahr geworden war. Auch etwa eine Stunde später bei der Siegerehrung rang er mit den Tränen. Nach Bronze 2004 holte er nunmehr verdientermaßen Gold, was sein Kontrahent im Finalkampf, Ludwig Paischer, anerkannte.

Die olympischen Spiele haben nicht den einzigen Zweck, auf die Athleten des jeweiligen Heimatlandes zu schauen, und diesen die Daumen zu drücken. Patriotismus ist ganz gut und nett, aber was haben die zuschauenden Österreicher davon? Wie bei jedem anderen Sport ist es der Wettkampf, der für Spannung sorgt. Es möge der Beste gewinnen. Doping hin, Doping her. Bei allen Sportarten, wo es nicht – auch - auf Material und perfekt ausgefeilte Technik ankommt, sondern ausschließlich auf die Leistung des Einzelnen, ist die Spannung greifbar nahe. Judo ist eine jener Sportarten, die „falsche“ Sieger buchstäblich ausschließt.

Eine junge Dame, Frau Dumitru aus Rumänien, war den Tränen wie ihr Kollege Choi Minho bei der Siegerehrung sehr nahe. Sie holte den Olympiasieg im Judo in der Klasse bis 48 Kilo. Choi Minho durfte 11,99 Kilo mehr auf die Waage bringen. Die Freude, ein Ziel erreicht zu haben, womit vielleicht gar nicht mal besonders spekuliert worden ist, war den Gesichtern der beiden sympathischen Olympiasieger abzulesen. Und der in Österreich lebende bzw. Österreich als Heimatland bezeichnende Fernsehkonsument darf sich ruhig auch mit Menschen aus anderen Nationen als der eigenen mitfreuen. Schließlich sollte der olympische Gedanke des friedlichen, Völker verbindenden Miteinanders keine Worthülse, und der Medaillenspiegel nicht dafür verantwortlich sein, wie sich der seiner Heimat verbundene Mensch fühlen darf.

Freitag, 8. August 2008

Olympia-Tagebuch, Teil 1: Zhang Yimou

Die Europameisterschaft in Wien ist vor etwas mehr als einem Monat zu Ende gegangen, und schon geht es mit einem weitaus aufwändigeren Sportfest weiter. Ich bin an und für sich kein Fan von Eröffnungsveranstaltungen. Und der zweistündige Einlauf der Nationen ist so ziemlich das Langweiligste, was an einem sonnigen Sommertag per Television zu verfolgen wäre. Habe ich auch nicht getan. Was ich mir aber nicht entgehen lassen wollte, war die Bühnenshow, für die der Regisseur Zhang Yimou hauptverantwortlich war.

In den 1990´er Jahren gelangen dem Mann mit „Rote Laterne“, „Leben“, und „Die Geschichte der Qiu Ju“ gleich drei ausgezeichnete Filme. Die anderen Regiearbeiten von Yimou finde ich nicht so überragend, weil er dem Action-Kino zuviel Gewicht zuordnete. Umso gespannter war ich darauf, die Eröffnung der olympischen Spiele zu sehen, und mir ein Urteil darüber zu bilden.

Der Aufwand der Show muss superextrem gewesen sein. Abgesehen von den monströsen Kosten zeigten ein paar Tausend Mitwirkende außerordentliche Leistungen. Von den einzelnen Abschnitten her gesehen gab es keine Mängel zu bemerken. Wie ein unermüdlich arbeitendes Uhrwerk reihte sich Attraktion an Attraktion. Beginnend mit 2008 Trommlern zog sich die Show bis zu einer Klaviersonate hin, die Lang Lang intonierte. Beeindruckend die lebendigen Schriftzeichen, der Gleichklang der Trommler und die leuchtenden Frauen und Männer. Zhang Yimou war es wichtig, die Harmonie darzustellen. Dennoch wirkten die Bühnenelemente teilweise richtig bieder. Die auf der Plattform einer „Weltkugel“ stehenden Sänger wären auch lieber am Boden der Tatsachen geblieben.

Merkwürdig am Ende dann eine Aktion, die nicht unbedingt von Zhang Yimou auserkoren worden sein muss. Der letzte Träger der olympischen Fackel wird mit einem Seilzug in die Höhe verbracht, und läuft dann mit gleichmäßigem Tempo die 360 Grad einer „Leinwand“ ab, ohne die Fackel zu verlieren. Höhenangst kannte der Mann keine! Dass gleichzeitig die Stationen des Fackellaufes projiziert wurden, machte diese Angelegenheit fast makaber. Im Vorfeld hatte es einige Proteste wegen der Tibet-Politik von China gegeben.

Zhang Yimou stellte die Geschichte Chinas anhand der fünf Dynastien dar, er bezog Kinder in die Show ein, und insgesamt hatte die Inszenierung durchaus Charme. Angesichts der Kosten, die allein diese Show verursacht haben muss, sollte allerdings jedem Fernsehkonsumenten bewusst sein, dass dies mit Sport nichts mehr zu tun hat. Eine Sportveranstaltung, von der nur wenige Menschen (jene Sportler, die erfolgreich sind) profitieren, und die andererseits schon im Vorfeld den Tod einiger Menschen beim Baum des „Vogelnests“ zu beklagen hatte.
China hat sich diese olympischen Spiele extrem viel kosten lassen, und sehr viele Menschen müssen nach wie vor zu Hungerlöhnen arbeiten, werden von ihren „Arbeitgebern“ ausgenutzt, und von Urlaub oder bezahlten Überstunden kann keine Rede sein.

Kein kritisches Wort fiel während der Übertragung. Und es ist zu bezweifeln, dass es mehr als leise Aufschreie geben wird. Es geht nicht nur um die Tibet-Politik, sondern um viel mehr. China bricht täglich in ungeahntem Maß Menschenrechte, und praktiziert die Todesstrafe in gespenstischem Ausmaß. Nun lässt es sich also nicht ändern. Peking richtet die olympischen Spiele aus, und es werden wunderbare sportliche Wettkämpfe sein. Zhang Yimou hätte ein Wort des Protests gar nicht in seine Show einbringen können. Der Regisseur war sich sicher bewusst, dass er eindeutige Richtlinien einhalten musste. Leider ist die Show zu perfekt gelungen. Ein geradliniges Spektakel ohne Makel.

Freitag, 1. August 2008

Sommergewitter

Gestern hatte ich das Vergnügen, in ein Sommergewitter zu geraten. Ich schlenderte in der Prater Hauptallee, und als aufmerksamer Mensch entging mir freilich nicht, dass der Himmel von schwarzen Wolken überzogen ward. Dennoch trat ich nicht den vorzeitigen Heimweg an. Schließlich waren die Vorboten eines Gewitters auch am Vortag als Himmelsphänomen aufgetreten.

Knapp nach sechzehn Uhr hörte ich die Hagelkörner auf die Blätter der Bäume treffen. Anfangs fielen zart ein paar Körnchen, und es gesellten sich ein paar Tröpfchen dazu. Innerhalb weniger Minuten aber bildeten sich schon Rinnsäle und einige Passanten suchten Schutz unter Bäumen, obzwar der schwere Regen sich auch von Baumkronen nicht aufhalten ließ.

Trotz meines Weges der Allee entlang war meine Kleidung innerhalb weniger Minuten durchnässt. Warum sollte ich wie einige andere Menschen durch die Allee oder Nebenwege laufen, wo es vor dem Regen keinen Ausweg gab? Ich nahm den Regen als gegeben hin, und schritt munter drauf los. Die Natur braucht hie und da ein kräftiges Gewitter zur Regeneration. Der Stadtmensch ist vor Gewittern nicht gefeit, das wäre ja noch schöner. Ich bewegte mich also wie geplant Richtung Straßenbahn-Station, die noch ganz schön weit entfernt war. Und was traf ich nur für lustige Gesellen! Vom Regen frontal betroffene Radfahrer versteckten sich unter Regenjacken, eine Frau stand mit einem Kinderwagen an einem Ort, wo sich ringsum eine mächtige Pfütze bildete, und ein paar Läufer nahmen den Regen zum Anlass, eine frische Dusche zu genießen.

Nach einer guten Stunde hatte der Regen etwas nachgelassen. Ich bedauerte meinen Aufenthalt im Freien nicht. Kein Mensch ist aus Zucker, und ein Gewitter lässt sich nicht abschalten wie eine schlechte Fernsehsendung. Der Wettergott grollt manchmal heftig, und das muss ihm niemand streitig machen. Das Leben besteht nicht nur aus Sonnenschein.